
Vor der Bülowstraße 97 in Berlin-Schöneberg riecht es nach Farbe. Wer die Werkstatt von URBAN NATION, der hier ansässigen Streetart-Initiative, betritt, merkt schnell, warum: Eine Gruppe Kinder sprüht mit Spraydosen bunte Kunstwerke auf weiße Stoffbeutel. Ein elfjähriger Junge ist besonders eifrig dabei: Er zielt auf eine Schablone in Form eines Blitzes, die er zuvor ausgeschnitten hat, und sprüht los. Und schon schmückt ein leuchtend gelber Blitz den bis eben unscheinbaren Beutel. Um die Auswahl an Dosen herum drängen sich schon andere Kinder, die ebenfalls Schablonen in den Händen halten: Vögel, Pferde und Herzen. Auch sie können es kaum abwarten, endlich sprayen zu dürfen – sich so richtig kreativ auszuleben.
Fünf Jahre Offene Familienwohnung in Spandau
Der Streetart-Workshop ist ein Geschenk an die Kinder aus Spandau, anlässlich des fünfjährigen Bestehens der Offenen Familienwohnung in ihrem Quartier. Jene Familienwohnung im Kraepelinweg 13 im Falkenhagener Feld ist ein Gemeinschaftsprojekt von Gewobag, dem Jugendhilfeträger casablanca gGmbH und weiteren PartnerInnen. 2016 ins Leben gerufen, sollte es einen Beitrag zum Zusammenhalt in dem Gewobag-Quartier leisten. Heute ist die Vier-Zimmer-Wohnung, die die Berliner Wohnungsbaugesellschaft kostenfrei zur Verfügung stellt, ein behüteter Ort für Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren – und zugleich ein Treffpunkt für Familien und NachbarInnen. „Montags bis donnerstags zwischen 14 und 18 Uhr gibt es bei uns die offene Spielzeit. Die Kinder kommen her zum Spielen, Reden oder Erledigen von Hausaufgaben“, erzählt Lisa. Sie studiert Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe. An zwei Tagen in der Woche arbeitet sie in der Offenen Familienwohnung. Hier gibt es neben einer Küche, einem Gruppenraum, einem Kreativ- und einem Spielzimmer auch einen Lese- und Beratungsraum.
In der Offenen Familienwohnung sind alle willkommen
Aber nicht nur Kinder finden in der Offenen Familienwohnung ein zweites Zuhause. Außerhalb der offenen Spielzeit sind hier alle willkommen – egal ob Eltern, NachbarInnen oder SeniorInnen. Es sind immer SozialarbeiterInnen vor Ort, die die AnwohnerInnen in verschiedensten Problemlagen unterstützen: Sie hören zu, geben Tipps und helfen bei Behördengängen. „Jeden Dienstag findet außerdem unser großes Kiezfrühstück statt, bei dem die Nachbarschaft zusammenkommen und sich austauschen kann“, sagt Lisa. Das fünfjährige Bestehen der Offenen Familienwohnung wurde bereits im August 2021 mit einem großen Hoffest gefeiert. Zu diesem Anlass schenkte die Gewobag den Spandauer Kindern den Streetart-Workshop, der nun Ende April, während der Osterferien, stattfinden konnte. Gemeinsam mit vier sozialpädagogischen Fachkräften ging es von Spandau nach Schöneberg – rein ins Streetart-Abenteuer.
Urban Nation stärkt die Nachbarschaft
Der Urban-Art-Künstler Christian Rothenhagen, der den Workshop leitet, erklärt den Kindern den richtigen Umgang mit der flüssigen Farbe. Ganz wichtig: Abstand halten. Nicht so leicht für Kinder im Kreativitätsschub. Und so werden neben den Beuteln auch die weißen Gewobag-T-Shirts, die die kleinen KünstlerInnen tragen, schnell bunt. Nach dem Graffiti-Workshop geht es in die Bülowstraße 7, ins URBAN NATION Museum for Urban Contemporary Art, um die Werke von großen Streetart-KünstlerInnen zu bestaunen.

Der Künstler Götz Drope zeigt den Kindern die Museumsaustellung und kann zu jedem Werk etwas erzählen. Besonders aufmerksam hören alle zu, als Drope ihnen etwas über Banksy erzählt, den weltbekannten britischen Streetart-Künstler, der seine Identität geheimhält.

Die großen Streetart-KünstlerInnen als Inspiration
Dann dürfen die Kinder abermals selbst kreativ werden. Dafür bekommen sie ein kleines Heft, einen Stift und die Aufgabe, Motive von Bildern abzuzeichnen, die ihnen besonders gut gefallen. „Rate mal, was ich hier abzeichne“, wendet sich ein kleines Mädchen mit braunem Zopf an ihre Betreuerin Mandy Rentzsch. Sie erkennt schnell: Es ist ein großes, buntes Feuerwerk. Ein Junge daneben ist dabei, eine Skizze von einem Bus voller Graffiti zu zeichnen. Die Fotografie, die ihn zu seinem Werk inspiriert, stammt von Martha Cooper. Die Dokumentarfotografin hält schon seit mehr als 40 Jahren Streetart-Kunstwerke im urbanen Raum fest.
Bastelspaß im Dachgeschoss
Zum Abschluss des Streetart-Tages steigen die Kinder hinauf ins Dachgeschoss des Museums. Hier erklärt ihnen Götz Drope, wie sie ein Skateboard oder einen U-Bahnwagen basteln und verzieren können. Ein Junge zeigt seine ausgeschnittenen Buchstaben – sie ergeben seinen Namen: Nawid. Später werden sie seine U-Bahn verschönern. Ein anderer Junge schneidet verschiedene Gesichter aus und klebt sie in die Fenster seines Waggons. Wer fertig mit dem Basteln und Anmalen ist, darf sein Werk laminieren und trockenföhnen. „Das macht voll Spaß heute!“, ruft ein Mädchen. Stolz zeigt sie ihr Skateboard – es ist verziert mit leuchtend roten Sternen.

Fotos © Olaf Janson / Raufeld Medien